Premiere: Segnung eines schwulen Paares
Außergewöhnlich normal
Eine Liebesgeschichte - so außergewöhnlich
und so normal wie jede andere: Zwei Menschen lernen sich kennen, engagieren
sich für die gleichen Interessen. Bei dem einen funkt's früher, der andere
blickt's erst ein bisschen später, dass er den Menschen getroffen hat, mit dem
er eine Beziehung, mehr noch, mit dem er sein Leben verbringen möchte. „An
Weihnachten vergangenen Jahres wurde der Wunsch konkret: Wir wollten für
unsere Partnerschaft die Anerkennung und den Segen der Kirche", sagt
Ulrich Schürrer. Kein ungewöhnliches Anliegen, wären die Menschen, die sich
lieben, nicht zwei Männer. Der Wunsch nach dem Segen der Kirche war für Ulrich
und Jens selbstverständlich, denn beim Gottesdienst in der Kirche hatten sie
sich kennen gelernt, beide sind „Säulen der alt-katholischen Gemeinde",
sagt der Pfarrer Joachim Pfützner. Bis sich Ulrich und Jens als erstes
Stuttgarter Schwulenpaar vor dem Altar der Katharinenkirche die Ringe
anstecken konnten, vergingen weitere zehn Monate.
Für
Pfarrer Pfützner ist die Segnung der Partnerschaft von Jens und Ulrich eine
Gratwanderung: „Ich persönlich stehe voll dahinter, im gesamtkirchlichen
Zusammenhang ist die Segnung eine homosexuellen Paares allerdings immer noch
eine heikle Sache." Die altkatholische Kirche zählt 5.000 Mitglieder in
Baden-Württemberg. Aufgrund der Ablehnung des Dogmas von der Unfehlbarkeit des
Papstes 1870 sah sie sich gezwungen, gegenüber der römischkatholischen Kirche
einen eigenen Weg zu gehen. Sie ist demokratisch verfasst:
Bischof und Kirchenvolk treffen
die Entscheidungen über den Weg der Kirche ebenso gemeinsam wie Pfarrer und Gemeinde
vor Ort. Es gibt keine offizielle Erklärung der Synode bezüglich homosexueller
Partnerschaftssegnung, aber sie bittet die Gemeinden, „sich um ein Klima der
Toleranz und der Offenheit gegenüber homosexuell lebenden und liebenden
Menschen zu bemühen". Pfützner: „Ich will nicht, dass die einzelnen
Kirchen gegeneinander ankämpfen und die Leute sagen, die alt-katholische
Kirche macht das, warum machen es die evangelische und die römisch-katholische
Kirche nicht? Stattdessen sehe ich das Ganze als Teil eines Prozesses, der von
allen Kirchen getragen werden muss."
Das Paar sieht die Segnung ihrer
Partnerschaft nicht als Politikum: „Das hier hat für uns beide eine ganz
persönliche Bedeutung." Sowohl dem Pfarrer als auch Jens und Ulrich ist
die Unterscheidung von Partnerschaftssegnung und Ehe bzw. Hochzeit wichtig:
„Bei der Partnerschaftssegnung geht es um die Anerkennung einer alternativen
Lebensgemeinschaft zweier Menschen, die aber genau so füreinander da sein
wollen, füreinander Verantwortung übernehmen wollen wie heterosexuelle
Paare."
Die
Gemeinde steht voll hinter der Segnung von Jens und Ulrich, und das zeigt sie
am „schönsten Tag im Leben" deutlich: Die Kirche ist brechend voll. Und
dann der bedeutende Augenblick:
Einander gegenüberstehend, versprechen
sich Ulrich und Jens Liebe, Treue, Achtung und Verantwortung. Zwei Männer vor
dem Altar, der Pfarrer und die Gemeinde stehen im Hintergrund, als wären sie
Zeugen eines ganz privaten Gesprächs. Jens und Ulrich stecken sich die Ringe
gegenseitig an, dann der Kuss. Die
Gemeinde klatscht Beifall für eine mutige Premiere.
(Bärbel Neumann)